Fragmentierung Part 2

Fragment 4

Label me a saint, but I`m still a sinner

Das Auto war aber nachwievor an Ort an Stelle. Wo sie wohl hingegangen war? Er erschrak unmerklich als es an die Beifahrerscheibe klopfte. Er ließ das Fenster einen Spalt herunter.

„Darf ich mich doch zu Ihnen setzten?“

„Klar, nur hereinspaziert.“

Sie musste lachen und er schloß das Fenster wieder, bevor sie die Tür öffnete und sich neben ihm niederließ. Sie zog die Tür wieder zu, nahm ihre Mütze ab, stellte ihre Handtasche zwischen sich und Nate und schmiegte sich in den ergonomisch geformten Beifahrersitz. Einen kurzen Augenblick sagte keiner etwas. Er betrachtete sie aus dem Augenwinkel. Sie war offensichtlich verwirrt und versuchte auf eine bestimmte Art, das Gespräch zu beginnen.

Nate streckte ihr einfach die Hand entgegen.

„Als bevor du jetzt weiterüberlegst, ich heiße Nathanael Summer- und wenn du mich ein drittes Mal siezen solltest, musst du morgen an meiner Stelle mit meinem Opa zum Bingorentnerabend gehen, gammelige Schnitzel essen und wässriges Weinschorle trinken.“

Sie lachte ohne es eigentlich vorgehabt zu haben, aber die Vorstellung schien sie zu sehr erheitern.

„Ich binValencia D`Attez und du ist mir auch lieber.“

Eine kurze Pause trat ein und amüsiert beobachtete Nate wie sie sich eine Strähne zurecht strich, die unter vielen zerzausten Haarpartien bereits in der richtigen Position gewesen war. Sie erwiderte seinen Blick.

„Ihr seid schon verrückt.“

„Verrückt? Warum?“

„....na okay wenigstens außergewöhnlich. Um die Uhrzeit, um die Jahreszeit anzuhalten, in den Wald zu rufen, zu warten... das machen nicht viele.“

„Dass es die verschiedensten Definitionen und Vorstellungen zum Begriff `Mann´ gibt ist mir klar, ich verstehe halt so ein Verhalten darunter.“

„Es ehrt dich. Deine....“

Sie sah auf seine Hand und bekam große Augen.

„Wow, du bist sogar schon verheiratet?“

„Klar. Wir haben morgen, beziehungsweise um 12 Uhr Mitternacht vor einem Jahr geheiratet.“

„Dann verschwende ich deine Zeit und du solltest bei deiner Frau sein.“

„Ach Valencia, wenn man sich die Richtige schnappt, dann eine die viel Verständnis für das starke Geschlecht hat. Und sie ist glücklicherweise nicht nur wunderschön und liebenswert, sondern vertraut mir auch grenzenlos.“

Sie sah ihn prüfend an.

„Zu recht?“

„Klar...weswegen diese Frage?“, wollte er leicht irritiert wissen.

„Genug jahrelang verheiratete Männer gehen fremd und steigen mit Jüngeren in die Kiste.“

„Ach, immer diese Gerüchte.“

„Für mich nicht. Ich war mit mehr als einem solchen `Mann` im Bett, wenn Frau genug Haut zeigt oder die richtigen Stellen findet, schmelzen sie alle dahin und vergessen allzu gerne ihre Treueschwüre.“

Man hörte förmlich die schöne Vase zerbrechen. Von dem unschuldigen Collegemächen aus Nates Gedankenwelt war nichts geblieben außer Scherben eben jener Vorstellung. Aber es passte nicht, denn er erkannte den Sarkasmus und die Bitterkeit in ihrer Stimme. Nate sah etwas in der Ferne, in seinem inneren Auge.

Fragment 5

Picture of shame

„Arbeitest du auf der Straße?“ Es war nichts anderes als „Gehst du auf dem Strich anschaffen“, doch so wollte er nicht mit ihr umgehen.

Sie hatte ihre Jacke ausgezogen und tatsächlich ließ das gesamte Outfit auf einen Beruf in Prostitution oder dem Eskort - Gewerbe schließen.

Ihr Lachen klang tot. Anstatt zu antworten begannen ihre Linke sein Hemd zu streifen und an einem der Knöpfe zu spielen. Im nächsten Moment hatte Nate realisiert, was sie tat und ihre Hand gepackt.

„Nein.“, erwiderte er scharf und sah sie durchdringend mit wütendem Blick an. Sie konnte ihn nicht mehr ansehen und blickte aus der Frontscheibe in die Nacht.

„Ich wollte dir nur helfen, das hab ich nicht verdient und du solltest endlich damit aufhören. Fang lieber an erwachsen zu werden.“

Erneute Stille, diesmal war sie fast endlos. Das Ferne in seinen Augen kam näher. Es musste ein Bild sein, etwas das ihm Auskunft über diese junge Frau gab. Er würde es bestimmt irgendwann ganz sehen.

„Keine Ahnung was mich gerade geritten hat...“, brachte sie langsam hervor. „ Vielleicht wollte ich, dass du dieses Bild von mir hast, damit du nicht siehst wie...ach vergiss es. Ich hätte nie hier einsteigen dürfen.“

„Hör zu, das war daneben von dir und du weißt das. Aber du bist eine junge Frau, die es nicht verdient hat, das man sie wie Abfall behandelt und ich kenne nicht die Geschichte die dich an diesen Punkt deines Lebens brachte. So wer bin ich, dass ich dich für dein Leben verurteilen sollte? Ich werde dich nicht in die Kälte schicken und auch nicht lassen. Aber wenn du deine Hände nicht bei dir behältst, binde ich sie an den Türgriff, verstanden?“

Mit diesen Worten machte Nate seinen Standpunkt deutlich und das erste Mal konnte sie ihm wieder in die Augen sehen. Sie schien innerlich sehr aufgewühlt zu sein.

„Der letzte Mann der mich so gut behandelt hat, war mein Großvater“ sagte sie.

„Wie alt bist du?“, fragte er.

„21, seit zwei Wochen“, antwortete Valencia ohne sich der Tatsache zu erfreuen.

„Alles Gute nachträglich zur vollständigen Volljährigkeit“

„Ich bin keine Hure und ich habe mich auch nie dafür bezahlen lassen. Ich war nur so dumm, mich auf sovielen Blödsinn einzulassen. Klare Grenzen und manchmal mehr Nachdenken hätte mir viele Verletzungen erspart...“, brach es aus ihr heraus. Nate schwieg kurz aber er wusste dass sie nun die Wahrheit sagte. Es formte sich ein vages Bild in ihm. Es waren viele Puzzlestücke und er begann, sie zusammenzusetzen.

„Ich glaube dir das, Valencia“ reagierte er daraufhin mit ruhiger Stimme und fügte nach kurzer Unterbrechung hinzu: „...wenn du darüber reden magst...“

„Das will ich...magst du mal das Radio einschalten?“

„Ein bisschen Hintergrundbeschallung, was?“, Nate lächelte.

Zum Fall des jungen Zimmermädchens....weiter....

Sie drückte erneut auf den Senderknopf.

„Lass mal das, das ist interessant.“

Es folgte eine ausführliche Reportage über den Freispruch der 7 angeklagten Männer im Vergewaltigungsprozess, von denen nun schon drei tot waren, Anlass war, das ein weiterer der Männer mit Einstichen in Lunge und Bauch gerade in der Intensivstation um sein Leben kämpfte. Allen Anschein nach würde er diese Nacht sterben. Schließlich kamen sie zurück auf die Wochen des Geschehens. Fast drei Wochen hatten sie die junge Frau in ein Kellerverlies auf einer Matratze eingesperrt, bei einer Mahlzeit am Tag dort und anderswo gequält, erniedrigt und unzählige Male ihre schmutzigen Fantasien an ihrem geschundenen Körper ausgelassen.

Mit wachsendem Entsetzen verfolgte Nate den Bericht. Wie konnte ihm das all die Zeit nur so egal, ja fast lästig gewesen sein? Da war eine junge Frau unwesentlich älter wie die, welche gerade neben ihm saß und die gedemütigt wurde und mit ihr hatte er weniger Mitleid als mit Valencia, die offenbar einfach naiv gewesen war?

„Trauriges Schicksal, aber wohl selber Schuld“, resümierte Valencia und in diesem Moment wechselte sie den Radiosender auf die Nummer 6, das christliche Radio. Um diese Uhrzeit spielten sie dort akkustische ruhigere Sachen und so lief in diesem Moment eine Ballade der Metalband Demon Hunter.

„My throath is an open grave“, dachte Nate laut.

„Demon Hunter, gleichnamiges Album, Track Nummer Drei“, gab sie wie aus der Pistole geschoßen zurück.

Sie lachten beide kurz.

„Du bist Christin?“, fragte er überrascht.

„Nun ob ich mich noch nennen kann“, kam schwach ihre Antwort. „und du?“

„Ja. Nach all dem was ich erlebt habe, bin ich dankbar, das nun Gott in meinem Leben ist, auch wenn ich immer noch viel falsch mache.“

Sie wartet kurz und schien nachzudenken. Eine Gefühlswelle schien über ihr zusammenzubrechen, sie blcikte gedankenversunken auf ihre Handtasche und schließlich streckte sie mir beide Hände entgegen.

„Bitte halte sie, während ich das erzähle.“

„Du...“ Das Bild wurde nun klarer.

„BITTE tu es“, flehte sie und hielt sich währenddessen krampfhaft am Saum der geöffneten Handtasche fest als sei diese ihr Strohhalm in der Not. Sie atmete schwer und sie zitterte. Ohne zu Zögern nahm Nate ihre Hände und hielt sie fest. Ihm fielen ihre schmutzigen zerschundenen Fingernägel zum ersten Mal auf. Scheinbar war sie ähnlich nervös wie er....oder- Er sah ihr in die Augen und Nate kroch es kalt durch die Adern als er das Bild endlich sehen konnte.

Fortsetzung folgt...