"General Yu!"
Der angesprochene Mann stand ungerührt
am Abgrund und blickte angestrengt in das Tal.
Sein Blick wanderte unruhig über die
Weiten Staublands, von der Waldschneise im Westen über den Fluß,
die schmale Hängebrücke kritisch begutachteten. Schließlich blieb
sein Blick im Osten hängen, weit in der Ferne, zwischen den zwei
großen Schicksalsbergen. Er hatte gefunden, was er gesucht hatte.
Wie in einer Kerbe, im Windschatten von Avant und Après, wie die
beiden Berge genannt wurden, lag die Festung.
"General Yu!"
Der junge Soldat hatte ihn nun
erreicht. Er war den ganzen Berg heraufgestürmt ohne sich eine Pause
gegönnt zu haben. Yu betrachtete ihn voller Bewunderung und nickte
ihm nur stumm zu, als er salutierte.
"Stehen Sie bequem, Feldwebel."
Erneut salutierte der noch erschöpfte
Bote.
"Verzeiht...General...ich
muss....erstmal..."
Wortlos reichte ihm Yu seine
Trinkflasche. Erstaunt sah ihn der Feldwebel an, wagte jedoch nicht
zu zögern und nahm respetkvoll dankend zwei verhaltene Schlucke.
"Wie ist euer Name, Feldwebel?"
"Eckstein, Immanuel Eckstein,
General."
"Gut Feldwebel Eckstein. Wieviele
waren es diesmal?"
"Es.. wird euch nicht gefallen;
General...das zu hören..."
Yu schüttelte den Kopf. Gefallen? Wie
sollte ihm diese leidige Mission gefallen? Mit 15 hatte man ihm sein
Leben entrissen, er wurde Teil der königlichen Armee von Staubland.
Schnell stieg er auf, denn er war ehrgeizig und
verantwortungsbewusst, der geborene Führer. König Zalsasar fiel
das bald auf und auch Yu war es bewusst. Insgeheim hielt er nie viel
von dem König, nicht, dass er ihn nicht mit dem nötigen Respekt
begegnete. Es war ein ungerechter König, der sein Volk tyrannisierte
und Menschen versklavte, enteignete und tötete, wie es ihm gerade
einfiel. Doch er tat es nicht offensichtlich, nur wenige wussten von
diesem Geheimnis. Nein, er unterstützte heimlich Maradeure, die in
den Wäldern hausten und die er mit Mittelsmänner dafür bezahlte.
Im Gegenzug "spendeten" diese Männer immer dann ein paar
ihrer eigenen Abtrünnigen als Leichen auf Schlachtfeldern der
königlichen Ritter, wenn es mal wieder Zeit war für eine
öffentliche Hetzjagd. Das Volk sollte ja immer im Glauben bleiben,
dass es einen sorgenden König hatte.So wusste fast niemand, dass der
eigene König, derMildtäter vieler Armen, das Land von innen
schadete um es völlig zu kontrollieren und als angesehener Mann
regieren zu können.
Als einer seiner engsten Vertrauten
musste Yu sich zwar längst nicht mehr vor dem Herrscher fürchten,
aber er hasste die Arbeit, zu der er gezwungen war. Er hasste es,
dass sein König ihn dazu zwang, diese Verbrechen mit dem Schwert in
die entlegensten Landstriche zu bringen. Er hasste sich, dass er all
die unschuldige Menschen in den Dörfern abschlachten musste, die
zuviel gesehen hatten. Er hasste sich, als er eines Morgens neben
der jüngsten Schwester des Königs aufwachte. Er war sich keiner
Schuld bewusst, konnte sich nicht erinnern sie in seinem Gemach
verführt zu haben. Als er mit seiner Frau Lara reden wollte, hatte
die Schande seines "Ehebruchs" sich bereits zu ihr
durchgesprochen. Sie war geflohen, der Vertrauensbruch war der
Tropfen, der das Fass der jahrelangen Entfremdung zum Überlaufen
gebracht hatte. Ohne seine Frau wurde er völlig zum Monster.
Grausame Schandtaten die er niemals freiwillig getan hätte,
bestimmten nun den Alltag.
Er bekam das Bild der jungen Frau nicht
aus dem Verstand, die ihm dummerweise als erstes bei einer
Nadelstichattack gegen das Nachbarland Farael über den Weg lief.
Am meisten hasste er sich für seinen
Beruf. Er hasste sich, dass er der Anführer der Maradeure geworden
war.
Über all die Jahre waren seine Hände
in Blut gewaschen. Oft erinnerte er sich an den mächtigen König
Sebaot, der im Nachbarland Farael regierte.
Aus einer verlorenen Serie an
Schlachten wusste er, dass dieses Land unter der Hand eines
fürsorglichen und weisen Königs regiert wurde. Dieses Reich war
klein, aber es wuchs beständig, es war arm, aber die Menschen
teilten was sie hatten. Das ursprüngliche Volk war nur noch ein
Bruchteil der Gesatmbevölkerung, den Ausländer und Flüchtlinge, ja
sogar Maradeure die ein neues Leben anfangen wollten, wurden einfach
aufgenommen. Den Generälen Faraels ging es gut, sie hatten freie
Zeit für ihre Familien wie Spione bestätigten und überhaupt schien
ihre Art der Kriegsführung ganz anderst motiviert zu sein.
Sei machten Gefangene und wer sich in
der Schlacht ergab, wurde wirklich bedingslos verschont.
Zalasar spottete öffentlich über die
Schwäche dieses Landes, aber als Mitglied seines engeren
Vertrautenkreises wusste Yu, dass er fürchterliche Angst vor dem Tag
hatte, andem Farael Staubland den Krieg erklären würde. Farael
hatte einen äußert fähigen General, er war des Königs Sohn. Es
war völlig gleich welcher Armee Staublandes er entgegen trat, er
schlug sie stets vernichtend. Zalasar hatte längst ein hohes
Kopfgeld dem Attentäter versprochen, der ihm seinen Kopf bringen
würde, aber der junge Prinz war bisher jedem Mordversuch einen
Schritt voraus gewesen.
Yu besann sich zurück auf die
Situation, die alles erst ins Rollen gebracht hatte Zalasar hatte ihm
Urlaub gewährt, den ersten seit er General war. Dieser war sorgsam
geplant. König Zalasar hatte einen entscheidenen Fehler gemacht.
Der König besaß eine abgelegene
Festung, die sein privater Rückzugsort darstellte. Yu war einmal mit
einigen machthungrigen und skrupellosen Männern des Königs dort
gewesen, sie hatten ihn dorthin eskortiert. Kein General durfte mit
seinen eigenen Männern, geschweige denn einer Waffe diese Festung
betreten. Erst an diesem Ort war ihm bewusst geworden, dass Zalasar
sein eigenes Volk schlachtete und nur eine handvoll Menschen dies
wussten.
Doch das war Vergangenheit. Hinter ihm
standen 1200 Krieger, Yu hatte die Obersten Regimentführer
eingeweiht und sie hatten ihm Treue bis in den Tod geschworen. Und
das sie nicht eher ruhen würden, bis Zalasar gefunden und
hingerichtet wurde.
"Herr General? Habt ihr es
vernommen?"
Yu schreckte seinen Gedanken.
"Nein...ich war in Gedanken. Was
habt ihr gesagt? Wie viele waren es?"
"Einer."
"Einer?" echote General Yu.
"Und dieser eine Gegner macht drei Regimenten von 800 Leuten ein
Problem? Was soll den einer gegen 800 ausrichten?"
"Nun...der eine war ein Verräter."
Yu wurde übel und er spürte die
Magensäure in seinem Bauch
Eckstein erschütterte das nicht, er
hatte 20 Kilometer Fussmarsch Zeit gehabt es zu realisieren und zu
akzeptieren.
"Wer?", keuchte Yu atemlos.
"Goldmann? Oder Schwarzherz? Hat mein Sohn überlebt?"
Er meinte Samuel Yu, der die
Bogenschützen und die berittenen Einheiten anführte.
"Euer Sohn hat überlebt."
Yu fiel sichtlich ein Stein vom Herzen.
"Das ist gut. Ist er in
Sicherheit? Geht es ihm gut?"
"Ja. Besser auf jedenfall als
Schwarzherz, Goldmann und viele ihrer treuen Soldaten die er heute
Nacht im Lager hat ermorden lassen."
Die Magensäure verteilte sich spontan
und ohne Vorwarnung auf dem ganzen Stein, der Yus Füße gestützt
hatte. Der General war zusammengebrochen. Eckstein sah ihn betrübt
an.
"Mein...mein eigener Sohn...?
NEIN!!!!"
Yu brüllte wie ein Löwe und schlug
mit seinen Fäusten auf den Felsen bis die ersten Fingerknöchel
brachen und der körperliche Schmerz die seelische Pein übertraf.
"Warum?"
Eckstein schwieg. Schließlich begann
er.
"Er ließ mich am Leben um euch
auszurichten, dass er sich zu entscheiden hatte. Und nun lieber dem
mächtigen wie dem schwachen Mörder dient."
Yu rang darum, seine Fassung wieder zu
gewinnen.
"Welcher Treue lebt noch?"
"Wir zwei, General Yu."
"Er hat alle umgebracht...ich kann
es nicht fassen."
"Wahrscheinlich all jene die er
nicht überzeugen konnte Euch zu verraten."
Yu saß einen Moment wie benommen auf
den Knien, ehe er sich wieder aufrichtete. Er war nicht mehr der
erfolgreichste Streiter des Reiches, sein Stolz, die Ehre, sein Heer.
Alles worauf er gebaut und worauf er vertraut hatte, war ihm so eben
entrissen worden. Es fühlte sich an, als hätte er sein Leben
umsonst gelebt und bittere Tränen genau dieser Erkenntis brachen nun
unaufhaltsam Bahn.
Doch er hielt sie nicht länger zurück,
auch wenn ihn diese Lage vor einem seiner geringsten Untergebenen
eigentlich demütigen sollte.
"Was...meint ihr, Eckstein? Was
soll ich tun?"
Eckstein hatte sich einen moment
abgewandt, nun sah er ihn völlig überrascht an. Doch Yu hielt dem
Blick stand. Er hatte sich erinnert, wie ihm Eckstein vor seiner
Verteidigung als treuester und weisester Krieger empfohlen wurde.
Schwarzherz hatte in den höchsten Tönen von ihm gesprochen, ihm der
sich nicht aufspielte oder in den Vordergrund drängte.
"Zalasar ist selber auf dem Weg
hierher. ihr habt noch immer die Entscheidung."
Yu sah ihn mit großen Augen an.
"Wie meint ihr das? Wer soll mir
jetzt helfen? Ich habe alle meine Ressourcen aufgebraucht und den
Kampf verloren."
Eckstein lächelte, als wüsste er
wesentlich mehr.
"Nicht ganz General. Ihr könnt es
noch mit mir versuchen."
Ein irrtiertes Augenpaar traf Eckstein
und musterte ihn von oben bis unten.
Unbeirrt lächelnd fuhr Eckstein fort.
"Allerdings hat ein Prinz
natürlich andere Modalitäten und Bedingungen als Hundertschaften
von einfachem Fussvolk."
Yu fiel es nun wie Schuppen von den
Augen.
"Ihr seid Sebaots Sohn?"
Es war eine rethorische Gefrage
gewesen. Sein größter Feind war in seiner eigenen Armee gewesen und
er hatte es nicht gewusst. Der Prinz sah ihn nun bestimmt an.
"Zalasar wird in wenigen Momenten
hier sein. Gebt mir euren Bogen und eure Waffen. Er wird denken, dass
ihr resigniert habt und unachtsam aus der Menge seiner Soldaten
vortreten. Das wird ihm selbst das Ende sprechen."
Yu zögerte. Ein Gedanke des Zweifels
kam ihm. Was wenn alles anderst gelaufen war? Wenn Eckstein log und
seine Armee unten erfolgreich gewesen war? Was wenn er einer der
Attentäterar, die durch das Netz seiner wachsamen Männer hatte
schlupfen können, der nicht von seinen gewissenhaften Männern als
das erkannt wurde was er war.
Als könnte Eckstein seine Gedanken
lesen legte er seinen eigenen Bogen auf den Boden und daneben seine
drei letzten Pfeile.
"Wenn ihr mich als Verräter seht,
hätte ich euch umgebracht, als ihr noch vor wenigen Minuten in
euerer Trauer um eure Frau abgelenkt wart. Ich kann euren Feind
besiegen, aber dazu müsst ihr alle Sicherheiten eures lebens
aufgeben und mir einfach Vertrauen."
"Das klingt irre."
"Ich weiß. Nunja wie soll ich das
erklären: Genau so ein Verhalten fordere ich von meinen eigenen
Männern. Völliges Vertrauen, völlige Aufgabe ihrer eigenen Stärke.
Es klingt seltsam, aber durch dieses Vertrauen kann ich erst so
wirksam und tödlich sein, wie es meist benötigt wird."
Das klang überhaupt nicht nach
menschlicher Herangehensweise.In diesem Moment hörte er Schritte,
sie kamen näher. Zitternd entledigte sich seiner Waffen und wartete
auf sein Ende.
Doch anstatt dessen verschwand Eckstein
hinter einer Baumgruppe.
"Wenn das nicht mein geschätzter
General Yu ist..."
Ein erneutes Mal zog sich der Magen des
Generals zusammen, als er Zalasar inmitten einer ausgewählten Elite
seiner besten Soldaten sah.
Yu sah im todesmutig und voller Wut
entgegen.
"Du bist das erbärmlichste Stück
Kot, das je mein Auge beleidigt hat.
Dachtest wohl mit diesem erbärmlichen
Manöver kommst du durch? Oh Yu, du hättest mich doch
mittlerweile besser kennen müssen. Du
weisst doch anhand des Treffens in meinem Schloss wie misstrauisch
ich schon immer war."
"Mit gutem Recht", erwiderte
Yu und konnte sich seines Galgenhumors nicht erwehren.
"Nun ich will nich unnötig Zeit
mit dir verschwenden. Deinetewegen mussten 800 meiner besten Soldaten
sterben. Du hast einen schnellen Tod verdient, alles andere würde
dich nur unnötig verherrlichen. hast du noch einen letzten Wunsch?"
Es ging alles viel zu schnell. War das
das Ende? Sollte es wirklich doch vorbei sein?
Er konnte Eckstein hinter den Bäumen
nicht mehr ausmachen.
"Ja. Ich möchte von dem König
der mich persönlich eingesetzt hat, auch persönlich gerichtet
werden."
Zalasar sah ihn überrascht an und
lachte urplötzlich.
"Das ist ja bestens. Ich hatte
irgendwie das Gefühl, das dies euer Wunsch sein könnte. Eigentlich
ziemlich dumm von euch. Ich werde euch nicht richten wie ihr es
wünscht. Ihr bekommt als Verräter mein Schwert in euren Unterleib
und dann werde ich euch hier alleine sterben lassen.
Yu erschauerte. Er wusste aus langer
Schlachterfahrung, das diese Art des Mordens die grausamste sein
konnte. Er zweifelte keinen Augenblick daran, dass Zalasar es in
seiner Bosheit zur grenzenlosen Perfektion darin getrieben hatte.
Sebstbewusst schritt Zalasar aus dem
sicheren Pulk seiner Männer gemütlich auf ihn zu.
Wenige Schritte vor ihm zog er sein
Schwert.
Yu hatte sein Leben auf Sand gebaut. In
einem letzten Augenblick bat er den Herrscher des Universums um
Vergebung, laut, als wollte er Zalasar damit spotten.
"Ihr glaubt doch nicht wirklich,
dass Gott euch helfen wird? Er hasst euch! Ihr wandert wie ich in die
Hölle nur ihr seid weit vor mir dran."
Yu blickte zur Seite und erstarrte.
Tatsächlich. Eckstein war nicht nur geblieben. Konzentriert hatte er
seinen Langbogen bis aufs Äußerste gespannt.
"Das entscheidet er wohl selber.
Er ist allmächtig, ihr nicht. Ihr seid ein Wurm den er jederzeit
zertreten kann."
Yu wusste nicht wie ihm diese Worte in
den Verstand gekommen waren aber er hatte sie bereits ausgesprochen,
als er darüber nachdachte.
Zalasar wollte schallend lachend, aber
der Pfeil, der seine Kehle durchbohrte,ließ dies nicht mehr zu.
Zwei der Soldaten aus der Mitte seiner
überraschten Leibgarde waren weniger beeindruckt als der Rest. Die
langen Dolche Faraels durchtrennten die Glieder der übrigen
Leibgarde, bis nur noch diese beiden Spione standen.
Eckstein trat hinter dem Baum hervor
und legte Yu die Hand auf die Schulter.
"Gut, dass du in deinem Leben
endlich auf mich vertraust."
"Und nun; mein Prinz? Ich bin dein
Feind, du bist hier noch nicht fertig"
"Denkst du ich werde meinen neuen
besten Mann nicht zerstören? Dein Leben hat erst angefangen."
erwiderte der Prinz mit einem Lächeln
"Aber..." Yu rang mit sich.
"Er meint es gut, glaube mir
Yu.", sagte der eine Spion und als er seinen Helm lüftete, sah
er in die Augen einer geliebten, schmerzlich vermissten Person. Tiefe
Scham und große Freude erfüllten ihn zurgleichen Zeit. Doch ihr
Gesicht war nicht wutverzerrt. Laras Blick war voller Liebe.